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Gottesbeweis am Computer:Existiert Gott? Ist doch logisch!

Wie künstliche Intelligenz die Suche nach Gott unterstützt
„Jetzt sind die letzten Zweifel ausgeräumt: Gott existiert tatsächlich. Ein Computer hat es mit kalter Logik bewiesen – das MacBook des Computerwissenschaftlers Christoph Benzmüller von der Freien Universität Berlin.“ Das stand im September 2013 im „Spiegel“. Heute lehrt der Mathematiker und Informatiker als Experte für künstliche Intelligenz an der Uni Bamberg. Wir haben ihn gefragt: Kann man Gott wirklich beweisen?
Datum:
Veröffentlicht: 15.4.24
Von:
Harry Luck

Sie haben vor einigen Jahren einen Forschungspreis dafür erhalten, dass Sie den mathematischen Gottesbeweis aus dem Jahr 1970 von Kurt Gödel mit Hilfe von künstlicher Intelligenz bestätigt haben. Wie muss man sich das vorstellen?

Man muss sich das so vorstellen, wie ein Beweis in der Mathematik geführt wird. Solche Beweise sind immer relativ in Abhängigkeit zu den Annahmen. Wir starten mit Definitionen und dem Versuch, Begriffe formal in der Sprache der mathematischen Logik zu fassen. Wir versuchen dann, mit gewissen Regeln des logischen Argumentierens Schlüsse zu ziehen. Genau das ist hier passiert. Gödel ging davon aus, dass abstrakte Objekte wirklich existieren, und damit auch ein abstrakter Begriffdes Göttlichen. Wir reden hier also über einen mathematisch-logisch korrekt geführten Beweis für die Existenz einer abstrakten, maximal perfekten Entität als abstraktes Objekt. Wir haben dann mit Hilfe des Computers den Nachweis geführt, dass die Begrifflichkeit, die Gödel eingeführt hat, durchaus in sich stimmig ist und alle seine angedeuteten Beweisschritte formal korrekt sind. Das ist eine abstrakte, formal-logische Beweisführung. Ich würde mich aber davon distanzieren zu sagen, wir hätten mit absoluter Sicherheit die reale Existenz Gottes bewiesen. Daraus ergibt sich dann die spannende Frage: Was hat eine Existenzaussage in der Mathematik mit Existenzaussagen mit theologischer Relevanz zu tun? Da muss auch ich Theologen und Philosophen zu Rate ziehen.

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Gibt es eine Formel, mit der man diesen Gottesbeweis auf den Punkt bringen kann?

Als Ausgangspunkt verwendet Gödel mehrere Grundannahmen (Axiome) und Definitionen, die er für sehr plausibel hält und die in langer theologisch-philosophischer Tradition stehen. Zunächst mal definiert er: Gott hat alle positiven Eigenschaften. Dann charakterisiert er den Begriff positiver Eigenschaften näher. Darauf aufbauend führt Gödel eine logische Argumentation durch, die am Ende die mögliche und notwendige Existenz Gottes nachweist.

Wenn man in der Gleichung bei den positiven Eigenschaften ein Minus davorsetzt, kann man dann auch das Böse, die Existenz des Teufels, beweisen?

Nein, das haben wir versucht. Aber da gibt es keine logische Symmetrie. Das steht im Zusammenhang mit der Beobachtung, dass Selbstidentität ganz natürlich (als Tautologie) eine positive Eigenschaft ist, Selbstdifferenz aber niemals.

Wie lange braucht Ihr MacBook, um Gott zu beweisen?

Das geht mittlerweile ganz schnell, in wenigen Sekunden.

Sehen Sie einen Widerspruch zwischen Wissenschaft und Glauben? Oder halten Sie es eher mit dem Physiker Werner Heisenberg, dem das Zitat zugeschrieben wird: „Der erste Schluck aus dem Becher der Wissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott“?

Ich würde lieber zu einer Harmonie zwischen Wissenschaft und Glauben tendieren. Ich bin in dieser Frage sehr in mir selbst ruhend. Ich denke, dass die Existenz des Göttlichen als das abstrakt Perfekte im Einklang mit wissenschaftlicher Erkenntnis steht. Passt dieser Gottesbegriff mit dem personalen Gott zusammen, an den wir Christen glauben? Ich habe das Gefühl, dass die meisten Religionen in ihrer Geschichte zu viel konkrete weltliche Vorstellungen in ihren Gottesbegriff mit aufgenommen haben. Es kommen dann sehr viele Axiome hinzu, was zu vermeidbaren Widersprüchen führt. Es ist eine spannende Frage, ob man die Widerspruchsfreiheit dann noch aufrechterhalten kann. Es wäre auch eine spannende Forschungsfrage, so etwas wie Dreifaltigkeit formal-logisch anzugehen, den Dingen auf den Grund zu gehen und sich mit möglichen Widersprüchen zu konfrontieren.

Das Manuskript von Kurt Gödels ontologischem Gottesbeweis aus dem Jahr 1970. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Shelby White and Leon Levy Archives Centers, Princeton.

Passt dieser mathematisch bewiesene Gott zum christlichen Glauben an ein Leben nach dem Tod im Paradies?

Da muss ich passen mit einer definitiven Antwort, da bewegen wir uns im Bereich der Hoffnung. Eine Konfrontation mit einer abstrakt perfekten Struktur, die man auf eine gewisse Weise auch nach dem Tod noch wahrnehmen kann, das ist für mich ein sympathischer Gedanke. Viel sympathischer als die Vorstellung, dass plötzlich das Licht ausgeht und nichts mehr ist.

Als Mathematiker müssten Sie mit dem Phänomen der Unendlichkeit und eines ewigen Lebens ja durchaus umgehen können.

Ich bin noch zu jung, um mir dazu eine endgültige Meinung anzumaßen. Vielmehr stelle ich mir Fragen wie: Was bedeutet es für unser Weltbild, wenn wir mit Gödel die Nichtexistenz der Zeit annehmen und die Zeit ein in sich geschlossenes System aus Zeitbögen ist? Unser gängiger Begriff der Zeit könnte demnach ein Irrtum sein und müsste vielleicht durch den Begriff der Kausalität ersetzt werden, wo es in einem geschlossenen System von Zeitbögen keinen Anfang und kein Ende gibt. In einem solchen System findet nun auch das maximal Perfekte im Sinne von Kurt Gödel gut seinen Platz und seine Bedeutung. Ich habe mich mit der mathematischen Unendlichkeit sehr gut angefreundet. Die Inspiration, über geschlossene Zeitbögen nachzudenken, ist verlockend und spannend. Aber eine eigene Position habe ich dazu noch nicht.

Hat sich durch Ihre mathematische Auseinandersetzung mit Gott Ihre Einstellung zum Leben und zum Glauben geändert? 

Zur Gottesfrage eher nicht. Ich habe eher versucht, mich von meinem eigenen katholischen Gottesverständnis zu distanzieren. Ich wollte nicht in den Verdacht geraten, mit einer Mission unterwegs zu sein. Ich wollte offen sein für jedes Ergebnis. Gleichzeitig ist mir bei der Suche nach der Frage „Gibt es Gott?“ eine positive Antwort durchaus sympathisch. Die Frage stellt sich interdisziplinär und auch über die Grenzen der Religionen hinweg. Meine Forschungen stoßen vom Vatikan bis zum Hinduismus in Indien auf großes Interesse. Es gibt da ein Netzwerk mit interreligiösem Charakter und der gemeinsamen Fragestellung: Kann man sich mit formaler mathematischer Herangehensweise mit dem Göttlichen auseinandersetzen?

Wie fühlt es sich an, in einer Reihe zu stehen mit Aristoteles, Anselm von Canterbury, Thomas von Aquin und Gottfried Wilhelm Leibniz, die auch Gott wissenschaftlich beweisen wollten? 

Ich bin da viel bescheidener. Ich bin nur ein Logiker, der es geschafft hat, gewisse Logikmechanismen erstmals im Computer zu automatisieren, was dann diesen fruchtbaren Dialog mit dem Computer zum Thema ermöglichte. Ich kann jetzt Theologen oder Philosophen einladen, sich mit mir auszutauschen. Ich glaube, dass in dieser interdisziplinären Herangehensweise, nicht nur zu diesem Thema, viel Potenzial steckt.

Ist der bestätigte Gottesbeweis der Grund dafür, dass Sie aus dem eher säkularen Berlin in die katholische Bischofsstadt Bamberg gewechselt sind?

Dafür gibt es viele Gründe. Bamberg ist wunderschön, ich wohne direkt hinter dem Dom. Und auch ein unbefristeter Lehrstuhl ist ein gutes Argument. Hier ist auch ein sehr guter Austausch mit den Geisteswissenschaften möglich. Ich empfinde Bamberg mit seiner Universität ein bisschen wie ein fränkisches Cambridge.

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In Bamberg forschen Sie zum Thema künstliche Intelligenz: Um beim religiösen Vokabular zu bleiben: Haben wir es hier eher mit Fluch oder Segen zu tun?

KI ist beides. Wahrscheinlich eher ein Segen, wenn wir jetzt eine sinnvolle Regulation schaffen, ohne auszubremsen und überzuregulieren. Wenn wir das nicht schaffen, kann KI verheerende Folgen haben. Weltweit findet bei dem Thema gerade eine enorme Beschleunigung statt. Ich bin großer Gegner vom Einsatz von KI in Waffensystemen oder im Kontext maximaler Überwachung. Da liegt vieles im Argen und wird viel aufgebaut, was zu Missbrauch einlädt. Das ist eine schwierige Aufgabe für Politik und Wissenschaft.

Sehen Sie eher die Gefahr, dass KI einen Weltkrieg auslöst oder die Chance, dass KI das Klimaproblem löst?

Vor ein, zwei, drei Jahren hätte ich noch Zweites gesagt. Ich vermute, dass KI weltweit im  militärischen Kontext maximal vorangetrieben wird. Damit wächst die Gefahr, dass wir Verheerendes damit anstellen können, momentan täglich an. Mit wachsender weltweiter Konfliktsituation wachsen bei mir Sorge und Skepsis.

Wo setzen Sie KI im Alltag ein?

Ständig und überall. Ich versuche aber auch, Cookies und Tracking soweit möglich abzuschalten. Ich bin da ein bisschen neurotisch. Aber ohne moderne Onlinekartendienste würde ich mich in einer fremden Stadt kaum noch zurechtfinden. Gleichzeitig stellt man auch eine gewisse Degeneration fest.

Wie wird KI die Kirche verändern?

Wir werden uns wohl in allen Bereichen daran gewöhnen müssen, dass wir immer auf das gesamte Wissen der Welt zurückgreifen können, auf alles, was Menschen sich mal ausgedacht und notiert haben. Das wird auch Einfluss auf Diskussionen im kirchlichen Bereich haben. Ich glaube, dass Computertechnologie als zusätzlicher Dialogpartner Akzeptanz finden sollte. Aber wir müssen noch lernen, mit dieser neuen Situation angemessen und klug umzugehen.

Wenn man ChatGPT fragt: „Gibt es Gott?“, kommt eine lange Antwort, die sich so zusammenfassen lässt: „Die Frage ist komplex und kontrovers. Es gibt keine wissenschaftliche Möglichkeit, diese Frage definitiv zu klären.“ Stimmen Sie dem zu?

Schwierige Frage, und ChatGPT wird uns diese Frage sicher nicht zuerst beantworten. Vielleicht bleiben gewisse Fragen aber auch für uns Menschen in Interaktion mit Computern immer unzugänglich. Was wir anstreben können und sollten, ist eine Harmonie zwischen Wissenschaft und Glauben.

In einem YouTube-Video gibt es weitere Hintergründe und Erklärungen zum „Gottesbeweis am Computer“. Was genau hinter der spektakulären Schlagzeile steckt – und was nicht –, hat Christoph Benzmüller beim 71. Science Slam in Berlin humoristisch und leicht verständlich aufgearbeitet:

https://www.youtube.com/watch?v=rXvboBiz7co